Nepal im Herzen
Über Land, Leute und die Geheimnisse des Trekkings.
Ich war in Nepal. Alleine. Das heißt jetzt nicht, dass außer mir niemand da war.
Nepalesen hat es da schon eine Menge, vor allem in Kathmandu. Dort tummeln sich heilige
Leute und nervige Leute, schmutzige Leute und laute Leute und eben fremde Leute, so wie ich.
Und von denen buchen die einen drei Wochen Kathmandu bei Neckermann und denken, sie hätten
Nepal gesehen und die anderen kaufen sich einen "Lonely Planet" und festes
Schuhwerk und wandern dort los, wo auch der letzte Bus nicht mehr weiterfahren kann. Was
in der Regel bedeutet, dass die Straße an einem Fluss endet, der keine Brücke hat -
zumindest keine, über die ein Bus passt. Ansonsten fällt mir kein Grund ein, der einen
nepalesischen Busfahrer davon abhalten könnte, mit seinem Gefährt die Erstbefahrung des
Mount Everest zu versuchen. Mit vier buddhistischen Nonnen, zehn Hühnerhändlern, zwei Ziegen
und drei kotzenden Hausfrauen an Bord. Und im Busfernseher tanzt der indische Terminator dazu.
Auch in meinem Rucksack steckte ein Lonely Planet, als ich im Jahr 2000 zum ersten Mal fröhlich und
unbedarft Richtung Asien aufbrach
- "Trekking in the Nepal Himalaya". Für die ganz Harten. Da wird gar nicht erst
verraten, wie man in Kathmandu eine billige Bleibe findet - schließlich ruft der Berg. Und
genau das war es ja auch, was mich nach Nepal gelockt hatte: Strahlend blauer Himmel, bunte
Gebetsfahnen im Wind, schneeweiße Gipfel hinter graubraunen Steinwüsten.... HIMALAYA!
Also habe ich mich nicht länger als nötig in der chaotischen Hauptstadt aufgehalten, sondern
bin gleich los gewandert. Dort, wo der letzte Bus nicht mehr weiter fahren konnte. Irgendwo
nördlich von Kathmandu in einer Ansammlung von schäbigen Lodges, die immerhin noch den Luxus
von festem Mauerwerk und elektrischem Strom aufweisen konnten. Und die letzten Orangen vor
einer langen vitaminarmen Wanderschaft.
Geplant hatte ich meine Touren nicht. Statt dessen schmökerte ich jeden Abend, während ich
mein obligatorisches Süppchen schlürfte, im Reiseführer und überlegte mir, wohin ich denn am
nächsten Tag wandern wollte. Zumindest als ich noch auf die Streckenplanung meines zerfledderten
Trekkigbuchs hereingefallen bin. Nachdem ich allerdings meine Ziele in den ersten Tagen nur
auf allen Vieren kriechend und unter Halluzinationen erreicht hatte, ging mir auf, dass die
beschriebenen Tagestouren wohl eher für einen Spitzensportler in der Olympiavorbereitung, als
für eine kurzbeinige Frau mit einem viel zu schweren Rucksack gedacht waren. Daraufhin habe
ich mir die Wege in petrafreundliche Einheiten aufgeteilt, bin locker, aber stetig vor mich
hin gestiefelt und erstaunlich schnell fitter geworden. Einige Wochen später, auf Trek Nummer
drei, gelang es mir schließlich mit stolz geschwellter Brust einige Porter zu überholen,
jene erstaunlichen Männer, die davon leben, Colaflaschen, Kleiderschränke oder Wellblechdächer
auf dem Rücken in die Berge zu tragen. (Schon peinlich genug, dass sie die meiste Zeit so viel
schneller waren als ich...). Wenn sie umfallen, bleiben sie übrigens wie Schildkröten auf dem
Rücken liegen, deshalb sollte man sehr vorsichtig sein, wenn man sich auf einem schmalen Weg
an ihnen vorbei quetscht.
Insgesamt bin ich sieben Wochen herumgewandert. Von den vielen Trekkingrouten, die sich durch
die Berge schlängeln habe ich mir während meiner ersten Reise drei ausgesucht, jede von ihnen mit einem völlig eigenen
Charme. Zuerst den Langtang Trek, dann den Annapurna Sanctuary zum
Annapurna Base Camp und zum Schluss den Jomsom Trek. Letzterer hatte an manchen Tagen
etwas von einem Stadtpark am Ostersonntag. Im Gegensatz dazu kamen mir auf meinen beiden
anderen Wegen höchstens dann und wann ein paar magere Trekker entgegen, zerzaust und ungewaschen
wie ich. Aber immer fröhlich. Himalaya macht glücklich. Ehrlich!
Ich war von Anfang März bis Mitte April in Nepal. Keine besonders typische Reisezeit für dieses Land,
aber vielleicht gerade darum nicht so überrannt wie im Herbst. Das Klima dieser Tage war durchaus
trekkerfreundlich - manchmal zu heiß, manchmal zu kalt, aber niemals so, dass es einen davon
abgehalten hätte, morgens in die schmuddeligen Klamotten zu schlüpfen, den Rucksack umzuschnallen
und los zu wandern. Und die Berge haben sich auch nicht versteckt. Tatsächlich sah die
Landschaft immer aus wie eine begehbare Postkarte. Manchmal habe ich mir vorgestellt, wenn der
letzte Tourist am Abend das Panorama passiert hat, rollen sie die gigantischen Leinwände wieder
zusammen und zum Vorschein kommt eine endlose Yakwiese.
Trekken ist übrigens sehr billig für uns wohlhabende Westweltler. Eigentlich ist die Rupie nur
ein hübsch bedrucktes Blatt Papier. Richtig wohl habe ich mich allerdings nie dabei gefühlt,
als Rupienmillionär durch die bescheidenen Dörfer zu ziehen. Statt zu prassen fängt man an,
eine Viertelstunde um zehn Rupies zu feilschen - keine fünfzehn Cent. Je nach Region konnte man 2000
locker von drei bis vier Euro am Tag leben. Nur die Genehmigungen zum Bewandern des
Langtang National Parks und der Annapurna Conservation Area kosten "ein kleines Vermögen":
damals so um die fünfzehn Euro.
Inzwischen scheint man aber auch in denn abgelegendsten Dörfern herausgefunden zu haben, dass man mit
Touristen gutes Geld verdienen kann. Außerdem macht die schwierige politische Lage in Nepal den Einheimischen schwer
zu schaffen: vor allem Lebensmittel sind in den vergangenen Jahren deutlich teurer geworden.
Zwar sind die Preise für Unterkunft und Verpflegung - verglichen mit europäischen
Preisen - immer noch ein Schnäppchen, aber bei meiner zweiten Nepalreise Ende 2005 habe ich mich mitunter beim
Studium der Speisekarten ganz schön erschrocken!
Die Unterkünfte in Kathmandu und Pokhara sind ein bisschen teurer, als eine Nacht in einer Berg-Lodge. Dafür ist
das Essen (falls man ein gewisses Maß an kulinarischer Bescheidenheit beibehält) deutlich billiger.
Die Städte sind ein wahres Einkaufsparadies, wenn man auf Wickelröcke, Räucherstäbchen und Silberklunker steht. Aber
an den Händlern beißt man sich beim Feilschen inzwischen auch manchmal die Zähne aus.
Der größte Reiz der "Zivilisation" besteht in Nepal allerdings darin, nach einem anstrengenden Trek endlich wieder
in den Genuss einer warmen Dusche, einer Tüte
Mandarinen und einer Französischen Käsepastete aus der "German Bakery" zu kommen.
Nepal ist für Frauen ein sehr angenehmes Reiseland und für Touristen - verglichen mit anderen Reiseländern - ziemlich sicher.
Ich habe meine Wanderungen stets unbeschadet hinter mich gebracht. Manchmal auf dem Zahnfleisch kriechend,
dann und wann leicht orientierungslos, aber niemals belästigt, angemacht oder
irgendwie gefährdet. Aber Vorsicht beim Wandern auf ungesicherten Bergpfanden ist natürlich
immer geboten und ein rechtzeitiger Blick auf die Warnungen des Auswärtigen Amtes kann nie schaden.
Und obwohl ich besonders gerne alleine wandere, kann ich auch die Sorgen erfahrener Nepal-Reisender verstehen,
die raten, als Frau stets in Begleitung zu trekken.
Unschön sind Begegnungen mit Maoisten, die inzwischen zu fast jeder Trekking-Tour gehören. Während ich 2000 nur eine wage Ahnung von den Umtrieben maoistischer Aufständischer hatte, bleibt deren Präsenz heute kaum einem Nepalbesucher verborgen.
Bestimmte Toristen-Regionen werden gerne von maoistischen Geldeintreibern heimgesucht. Sie sind sich nicht zu schade, sogar abends in die Lodges zu kommen, um Reisende auszunehmen.
Zwar sind die Nepalesischen Maoisten inzwischen an der Regierung beteiligt und ihre Hauptforderung, die Abschaffung der Monarchie, hat sich erfüllt.
Das Abkassieren geht unterdessen munter weiter. Vor allem in den Touristenhochburgen Everest- und Annapurna-Gebiet kommen Trekker nicht drum herum, "Wegzoll" in Form von Rupien an die Maoisten zu zahlen - wofür sie eine ordentliche Quittung erhalten. Der Tatopani-Kurs im Herbst 2005 stand übrigens bei 1500 Rupien pro Wanderer.
Touristen blieben bisher weitestgehend von gewaltsamen Übergriffen verschont, aber es empfiehlt sich, sich nicht mit diesen Verbrechern anzulegen.
Nepal hat viel durchgemacht in den letzten Jahren. Seit meinem ersten Besuch im Jahr 2000 hat sich die politische Situation des Landes radikal verändert. Der damalige König Birendra und dessen Familie starben 2001 bei einem Massaker im Königspalst. Gyanendra, eines der letzten lebenden Familienmitglieder, wurde König und sägte mit demokratie-fernen Umtrieben systematisch den Ast ab, auf dem er saß.
Nach landesweiten Protesten im April 2006, wurde Gyanendra weitgehend entmachtet, ein Übergangsparlament aus 7-Parteien-Allianz und Maoisten übernahm die vorläufige Regierung Nepals.
Anfang April 2008 fanden im Land die ersten Wahlen seit zehn Jahre statt. Die Partei der Maoisten unter ihrem Führer „Prachanda“ ging dabei überraschen hoch als Sieger hervor. Am 28. Mai schließlich stimmte die verfassungsgebende Versammlung mit großer Mehrheit für die Abschaffung der 240 Jahre alten Monarchie. Seit diesem Tag ist Nepal eine föderale demokratische Republik.
Der Tourismus, der mit Beginn der schlechten Nachrichten aus Nepal im Jahr 2001 dramatisch zurückging, erholt sich seit 2006 deutlich. Inzwischen besuchen Nepal wieder so viele Urlauber, wie lange nicht mehr. 2007 war ein touristisches Rekordjahr.
Auch ich würde jederzeit erneut Richtung Himalaya reisen. Wen der Nepal-Virus einmal gepackt hat, der kommt immer wieder. Die Menschen sind liebenswert, die Kultur fazinierend, die Landschaft beeindruckend und das Wandern produziert reichlich freundliche kleine Endorphine.
Himalaya macht glücklich!